GMDS-Arbeitsgruppe „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“ (Leiter: Dr. B. Graubner)

Praxis-Seminar

im Rahmen der KIS-Tagung 1999
"Praxis der Informationsverarbeitung in Krankenhaus"
Mittwoch, 05.05.1999, Dortmund
Organisation:
Dr. J. Ingenerf (Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Universität zu Lübeck)

- Kodiersoftware und ihre Integration in medizinische Informationssysteme -



Im Rahmen der 4. Fachtagung „Praxis der Informationsverarbeitung im Krankenhaus“ veranstaltete die GMDS-Arbeitsgruppe „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“ am Mittwoch, dem 5. Mai 1999, ein Praxisseminar zum Thema „Kodiersoftware und ihre Integration in medizinische Informationssysteme: Anwenderberichte und Firmenpräsentationen“. Es gab und gibt anderenorts eine Reihe von Veranstaltungen zu den Themen „Kodierung“ und „Kodiersoftware“, u.a. angeboten durch die Akademie Medizinische Informatik. Zur Unterstützung bei der Auswahl von Kodiersoftware wurden bereits 1997 ein Kriterienkatalog sowie eine Marktanalyse vorgestellt [1]. Die Mehrzahl der betroffenen Ärzte und Ärztinnen nutzt Kodiersoftware jedoch nicht losgelöst von der jeweiligen Krankenhaussoftware. Im allgemeinen werden systemeigene Module verwendet oder aber eine dedizierte Kodiersoftware, deren Funktionen aus der „Hauptanwendung“ heraus aufgerufen werden. Mit einer solchen technisch machbaren Programmschnittstelle zwischen zwei Softwaresystemen sind je nach Komplexität der beteiligten Module Reibungsverluste hinsichtlich der verfügbaren Funktionalität verbunden. In diesem Praxisseminar wurde erstmals ein Dialog zwischen den drei entscheidenden Gruppen herbeigeführt: den Anwendern und Entscheidungsträgern im Krankenhaus, den Entwicklern und Anbietern von Kodiersoftwareprodukten und sowie den Herstellern von Krankenhausinformationssystemen (KIS).

Die jeweilige aktuelle Bedeutung des Themas korreliert ganz entscheidend mit der erforderlichen Umsetzungsnotwendigkeit des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG), insbesondere seinen §§ 295, 301 und 303 SGB V, sowie der Bundespflegesatzverordnung einschließlich ihrer Änderungsverordnungen [2]. Zur Entlastung der Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern sowie zur Gewährleistung von Qualität und Effizienz kann und sollte die EDV-Unterstützung von Dokumentation und Kodierung im hohen Maße beitragen. Vorhandene Softwareprodukte zur Informationsverarbeitung im Krankenhaus unterstützen die Kodierung und Entgeltableitung im Rahmen der Basisdokumentation auf sehr verschiedene Art und Weise.

Die Fragen nach dem „Warum“ (Notwendigkeit), „Was“ (Funktionalität) und „Wie“ (Realisation) einer Integration von Kodiersoftware in ein Krankenhausinformationssystem standen im Mittelpunkt der Veranstaltung. Im einzelnen war das Programm in drei Teile gegliedert:

Teil 1:   Erfahrungsberichte

  • Objektivierung der Auswahl eines Kodiersystems
    (Herr Kesztyüs und Herr Leiner, Göttingen)

  • Erfahrungen mit dem Kodiersystem ID DIACOS im Routineeinsatz
    (Herr Stausberg, Essen)

  • Erfahrungen mit dem Kodiersystem ICD/ICPM professional im Routineeinsatz
    (Herr Scherlitz, Hamburg) (ausgefallen)

  • Erfahrungen mit dem Kodiersystem KODIP im Routineeinsatz
    (Herr Sobhani, Berlin)[Präsentation]

  • Erfahrungen mit der Basisdokumentation ohne Kodiersoftware
    (Herr Glück, Heidelberg) [Präsentation] [Zusammenfassung]

Teil 2:   Anbieter von Kodiersystemsoftware

Teil 3:   Anbieter von Krankenhausinformationssystemen

Publizierte Untersuchungen von Kodiersoftware beschränken sich im allgemeinen auf eine qualitative Beschreibung der Produkte auf der Grundlage eines Kriterienkataloges. Es gibt neben den im Teil 2 genannten drei kommerziell führenden Programmen weitere Produkte auf dem Markt, die jedoch häufig nicht einmal die Minimalanforderungen bzgl. der Güte der zugrundeliegenden Datenbestände erfüllen oder nur eine mehr wissenschaftliche Bedeutung haben [1].

Im ersten Vortrag berichteten Kesztyüs und Leiner über einen Auswahlprozeß, der den entscheidenden empirischen Test der Güte und Effizienz einer Kodierung anhand von ca. 100 zufällig ausgewählten Diagnosentexten beinhaltete. Es handelte sich um solche Texte, die nach einem eigenen vorgeschalteten Vergleich mit einem Hauskatalog unverschlüsselt geblieben waren. Die eigentliche Kodierung wurde hinsichtlich ihrer Korrektheit (klassiert in 6 Klassen) und Effizienz (Anzahl von Tasten- und Mausklicks) bewertet. Über einzelne Ergebnisse wurde berichtet und dabei betont, daß deren Interpretation nur vor dem spezifischen Hintergrund in Göttingen und unter Beachtung der Besonderheiten der drei einzelnen Programme sinnvoll ist.

Die weiteren Vorträge sollen nicht im einzelnen referiert und diskutiert werden. Statt dessen sollen für die oben genannten drei Fragenkomplexe des „Warum“, „Was“ und „Wie“ einer Integration von Kodiersoftware im folgenden die wichtigsten Gesichtspunkte schlagwortartig zusammengefaßt werden.

WARUM: Ist der Einsatz von spezifischer Kodiersoftware notwendig bzw. sinnvoll?

a) KIS-eigene Angebote

  • Vorteile:
    • Basisfunktionalität (scheinbar) einfach realisierbar
    • einfacher Zugriff auf systemeigene Daten und Funktionen, z.B. für Entgeltableitung
    • einfachere Wartung der Software
    • schnellere Reaktion auf Kundenwünsche
  • Nachteile:
    • Verantwortung für die Güte der Kodierung
    • Aufwand für Reaktion auf häufige Gesetzesänderungen
    • Aufwand für Realisation von Anwenderwünschen, z.B. Integration von Hauskatalogen usw.
b) Integration von spezifischer Kodiersoftware
  • Vorteile:
    • Bereitstellung qualitativ hochwertiger Kodierwerkzeuge
    • Sicherstellung der Qualität von Datenbeständen und Algorithmen
    • Bereitstellung von funktionalem Mehrwert, z.B. graphische Kodierung, Wissensableitung, ...
    • Verringerung der Gefahr einer „Abflachung“ des Diagnosenspektrums
  • Nachteile:
    • Kosten
    • softwaretechnische Komplexität, u.a. wegen jeweils proprietärer Schnittstellen zur Kodiersoftware

WAS: Welche Funktionen sollte die Kodiersoftware abdecken?

  • Welche Funktionen sind sinnvoll?
    • qualitative Zugänge zu den Schlüsselkatalogen über Systematik, Kode, Kürzel und insbesondere über den Text sowie eine adäquate Ergebnisdarstellung (inkl. der Darstellung von möglichen Entgelten)
    • Bereitstellung von intelligenten Verknüpfungen zwischen Diagnosen und Prozeduren sowie zu weiteren Merkmalen bis hin zu spezifischen strukturierten Fachabteilungsdialogen, inkl. der Nutzung von Grafiken
    • Bereitstellung von intelligenten Verknüpfungen zu externen Wissensbasen
  • Welche Funktionen sind weniger sinnvoll?
    • Entgeltfindung bzw. Erlösoptimierung, da hierzu zahlreiche Daten aus dem KIS notwendig sind
    • Je nach Einsatzszenario ist eine gänzlich vollautomatische Kodierung von Diagnosen- und insbesondere Prozedurentext bedenklich, da i.a. erst ein interaktiver Dialog die korrekte Verschlüsselung herbeiführen kann.

WIE: Wie sollte die technische Schnittstelle aussehen?

  • DDE (Dynamic Data Exchange):
    momentan ist das noch die am häufigsten realisierte Variante, die aber Probleme bei Zeitüberschreitungen der DDE-Kommunikation macht.
  • OLE (Object Linking and Embedding):
    wird unter Windows mittelfristig das DDE ablösen.
  • Active-X-Control:
    erlaubt eine „echte“ Client-Server-Integration, bei der die bereitgestellten Funktionen im „Look and Feel“ der aufrufenden Software angeboten werden kann.

Nahezu alle existierenden Schnittstellen realisieren eine 1:1-Kommunikation, d.h. sie übergeben dem aufzurufenden Kodiersystem einen Text (Kode) und erhalten den Kode (Text) zurück. In der Praxis werden dem Endanwender selten alle mit der Schnittstelle der Kodiersoftware bereitgestellten Funktionen auch im KIS-Programmsystem angeboten. Das Problem verschärft sich dann, wenn die Kodiersoftware sehr viel mehr Funktionalität anbietet. Dann müssen i.a. mehrere Diagnosen und/oder Prozeduren inklusive gewisser Attribute (Haupt- oder Nebendiagnose) und Verknüpfungen an das Kodiersystem übergeben werden und/oder umgekehrt vom Kodiersystem, angereichert um weitere Merkmale, an das aufrufende Programm zurückgegeben werden. Das wiederum greift massiv in die Ablauflogik (Workflow) des jeweiligen KIS-Programmoduls ein. Programmtechnisch heißt das, daß es dann nicht mehr ausreicht, an einer dedizierten Stelle einen Aufruf beim Kodieren eines Diagnosentextes zu parametrisieren.

Zum Schluß dieses Berichtes seien zwei generelle Beobachtungen erlaubt:

  1. Man wird bei der Diskussion dieses Themas mit zwei extremen Positionen konfrontiert, die man nur schlecht miteinander vereinbaren kann und deshalb so stehen lassen muß: einerseits die (manchmal überzogene) Forderung nach intelligenteren Werkzeugen, die z.B. eine AO-Kodierung (gemäß Frakturenklassifikation der AG Osteosynthese) graphisch unterstützen und „Kopfschmerzen“ als Entlassungsdiagnose verbieten, und andererseits die Forderung nach minimalsten Aufwand für den Arzt, u.a. durch Verwendung von knappen Hitlisten. (Der Sinn und Unsinn von Hitlisten war ein in der Veranstaltung sehr häufig diskutiertes Thema. Sie werden von zahlreichen Anwendern und KIS-Anbietern als ganz wesentliche Lösung des Kodierproblems angeboten und genutzt. Nachteilig ist aber die damit meistens verbundene Einschränkung des Verschlüsselungsspektrums.)

  2. Die Kodiersoftware kann nicht für Probleme einstehen, die anderweitig gelöst werden müssen. Zum Beispiel muß eine Qualitätssicherung der Kodierung u.a. durch Schulung, Mahnwesen, inhaltliche Plausibilitätskontrollen und Analyse der Verschlüsselungsergebnisse ergänzt werden. Eine Entgeltableitung kann nicht losgelöst von außerhalb des konkreten Falls gelagerten Fragen wie „Punktlandung“, Erlösausgleichen usw. gesehen werden.

Das quantitativ und qualitativ alle Erwartungen der Veranstalter übertreffende Echo auf dieses Praxisseminar veranlaßte die GMDS-AG „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“ zu dem Beschluß, für die 5. Fachtagung „Praxis der Informationsverarbeitung im Krankenhaus“, die am 5. und 6. April 2000 in Frankfurt/M. stattfinden wird, eine ähnliche Veranstaltung vorzubereiten. Sie wird voraussichtlich am 4.4.2000 zum Thema „(Voll-)automatische Verschlüsselung von Diagnosen und medizinischen Prozeduren“ durchgeführt.


Referenzen

[1] Ingenerf, J., Thurmayr, R., Thurmayr, G. R., Graubner, B., Zaiß, A. (1997): Diagnosen- und Prozedurenkodierung sowie Entgeltzuordnung: Ein Kriterienkatalog zur Beschreibung und Auswahl von Softwaresystemen. PMD (Praxis Medizinischer Dokumentation) 17 (4), 69-73, und 18 (2) 25.

[2] Zaiß, A. (federführend), Bülzebruck, H., Glück, E., Graubner, B., Leiner, F., Lochmann, U., Straube, R., Thurmayr, R., unter Mitarbeit von: Thurmayr, G. R., Glockmann, A. (1997): Leitfaden zur medizinischen Basisdokumentation nach § 301 SGB V. Düsseldorf: Deutsche Krankenhaus Verlagsgesellschaft mbH.

Online-Referenzen

WEB-Adresse der 4. Fachtagung „Praxis der Informationsverarbeitung im Krankenhaus“, 6.-7. Mai 1999 in Dortmund: http://www.inf.fh-dortmund.de/kis/

WEB-Adresse der GMDS-Arbeitsgruppe „Medizinische Dokumentation und Klassifikation“:
http://www.imbi.uni-freiburg.de/medinf/gmds-ag-mdk
Die Vorträge werden dort als PowerPoint-Präsentationen verfügbar gemacht.

WEB-Adresse der Akademie Medizinische Informatik:
http://www.ukl.uni-heidelberg.de/mi/akademie/akademie.html

WEB-Adresse zum Thema „Online Medical Terminology Resources“:
http://www.medinf.mu-luebeck.de/~ingenerf/terminology/

Adresse des Autors:

Dr. Josef Ingenerf
Institut für Medizinische Informatik
Medizinische Universität zu Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck

ingenerf@medinf.mu-luebeck.de




letzte Änderung am 16.12.2003 durch den Webmaster